Permanente Krisenfunktion

von Maren Grimm

Die informellen Minenarbeitersiedlungen im Fokus

Einer der Ausgangpunkte für die Kampagne Plough Back The Fruits war immer die Verstärkung der Stimmen jener Arbeiter*innen und ihrer Communities in den Abbaugebieten der Rohstoffe Südafrikas, die am Anfang der Liefer- und Wertschöpfungsketten globaler Konzerne stehen. Während die Angestellten der Minenbetriebe zumindest über die Organisierung in Gewerkschaften Vertretungen haben, die verpflichtend in Tarifverhandlungen und den jeweiligen Sektor betreffende Entscheidungen mit einbezogen werden müssen, ist eine öffentlich wahrnehmbare und legitimierte Interessensvertretung für die die Minen umgebenden informellen Siedlungen kaum gewährleistet. Für die Unternehmen endet die Verantwortung für ihre Angestellten faktisch beim Verlassen des Werksgeländes.

Die Formalisierung der informellen Siedlungen seitens staatlicher Behörden ist ebenfalls ein komplexes Thema. Die Einhaltung der bestehenden Sozialpläne für Minenbetriebe wird u.a. wegen bestehender rechtlicher Grauzonen nicht besonders streng überwacht. Die Siedlungen werden von den verantwortlichen Politiker*innen zumeist ignoriert und die Bewohner*innen müssen zumeist jede Verbesserung der Infrastruktur selbst herstellen oder erkämpfen. Darüber hinaus sind sie sind von „freiwilligen“ Maßnahmen der Firmen abhängig, die sich dadurch wiederum als wohltätig darstellen. Weiterhin ist ein Großteil der Bewohner*innen aus anderen Bundesstaaten oder dem umliegenden Ausland zugezogen und hat es somit noch schwerer, ihre Interessensvertretung zu organisieren. Denn neben den Regierungsbehörden haben lokal außerdem die sog. tribal authorities weitgehende Befugnisse für Schürf- und Landrechte.

Covid-19 wirft ein Schlaglicht auf die bestehenden Probleme

Im ersten Newsletter hatten wir aus dem Platinum Belt berichtet. Zu Beginn des Lockdowns war ein großer Teil der Minenarbeiter*innen aus dem Platinum Belt in die jeweiligen Heimatregionen abgereist. Doch bereits Mitte April 2020 begannen viele Bergbauunternehmen, ihre Belegschaften zurück zu den Minen zu rufen. Mittlerweile gibt es etliche Berichte darüber, dass Arbeiter, die nicht „gebraucht“ werden, sich selbst überlassen werden, da die verschärften Sicherheitsbedingungen die Reduzierung der Teams, die untertage gehen, mit sich bringt. Es wurden anscheinend mehr Arbeiter zurückgerufen, als derzeit in den Schichtbetrieb einbezogen werden können. So führt die ohnehin angespannte Situation auf dem südafrikanischen Arbeitsmarkt dazu, dass einige Unternehmen ihre festangestellten Arbeiter*innen zunehmend wie Tagelöhner behandeln und die Konsequenzen daraus nicht sonderlich zu fürchten scheinen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Wiederaufnahme der Arbeit in den Minen weiterhin gestalten wird. Am 16. Mai waren die ersten Covid-19 Fälle bei Impala Platinum in einer Platinmine im Bundesstaat Limpopo bekannt geworden. Weitere Corona-Fälle im Minensektor wurden am 20. Mai aus einer Goldmine nahe Mafikeng im Bundesstaat North West gemeldet. In beiden Fällen waren Arbeiter nach der Rückkehr aus dem Eastern oder Western Cape getestet worden, bevor sie wieder untertage gingen. Die Gewerkschaft AMCU (Association of Mineworkers and Construction Union) fordert mittlerweile flächendeckende Test für alle Beschäftigten in Minenbetrieben. Auch diese Forderung zielt wiederum darauf ab, die umliegenden Siedlungen mit in die Schutzmaßnahmen einzubeziehen. Dieses Thema ist für ganz Südafrika von großem Interesse, könnten doch die Entwicklungen im wirtschaftlich so bedeutsamen Bergbausektor dazu beitragen, dass generell die Situation der Menschen in den unzähligen informellen Siedlungen im ganzen Land mehr Aufmerksamkeit erfährt.

Recherchen in den (sozialen) Medien zeigen bis dato, dass die politisch Verantwortlichen stark bemüht sind, Präsenz zu zeigen, und ebenso wie die Unternehmen, medienwirksam aufzutreten. So spendeten Sibanye-Stillwater und Anglo Gold Schutzmasken und Handschuhe im Wert von 1 Mio. Rand (umgerechnet ca. 50.000 Eur) an das südafrikanische Gesundheitsministerium. Unter einem diesbezüglichen Foto, welches der Gesundheitsbeauftragte der Provinz Gauteng auf Twitter veröffentlichte, postete ein User:

„Impala und Anglo Platinum haben ihre Angestellten während des Lockdowns weiterbezahlt. Sibanye-Stillwater hat das nicht getan! Sie hätten diese Spende, eine billige PR-Aktion, nicht annehmen dürfen. Was zählt sind Löhne, nicht magere Almosen.“ Berichte über die Verteilung von Essenspaketen und Hygieneartikeln findet man indessen vorrangig auf Social-Media-Seiten von NGO´s wie MACUA (Mining Affected Communities United in Action) und anderen Basisorganisationen, die mit Spendengeldern selbstorganisierte Verteilungen in einigen Siedlungen dokumentieren.

Wichtige Erfolge vor Gericht

Die Gewerkschaft AMCU hatte direkt nach der Ankündigung der Wiederaufnahme des Bergbaus eine Klage gegen das Bergbauministerium eingereicht, um sicherzustellen, dass branchenweit umfassende Schutzkonzepte vor Covid-19-Infektionen durchgeführt werden. Das NGO-Netzwerk MACUA/WAMUA hatte sich der AMCU-Klage angeschlossen, um der Forderung nach der EInbeziehung der betroffenen Communities Nachdruck zu verleihen. Bereits im Mai 2018 hatte MACUA auf gerichtlichem Weg versucht, den Menschen aus den informellen Siedlungen Gehör zu verschaffen, um bei den Beratungen für die Bergbau-Richtlinien für Unternehmen (mining charter) mit gehört zu werden.

 

„Viele Jahre lang haben diese Gemeinschaften darum gekämpft, in die Diskussionen der Industrie einbezogen zu werden, gehört und bei Entscheidungsprozessen im Zusammenhang mit dem Bergbau konsultiert zu werden“, schreibt Busisiwe Kamolane vom Centre for Applied Legal Studies (CALS) der Wits University. „Sie haben für das Recht gekämpft, Nein (zum Bergbau) zu sagen, für das Recht auf eine sinnvolle Beteiligung, für das Recht, als Hauptakteure anerkannt zu werden und bei Entscheidungen, die sie letztlich betreffen, eine Stimme zu haben. Bisher waren sie bei zahlreichen Gelegenheiten bestenfalls ignoriert worden.“

Jetzt hingegen wurde der Klage von AMCU und MACUA am 3.Mai 2020 stattgegeben. „Unbestritten ist, dass die besondere Verwundbarkeit der Minenarbeiter wiederum die Communities, in denen sie leben, für Covid-19 besonders anfällig macht. In Südafrika gibt es fast eine halbe Million Minenarbeiter. Jede Covid-19-Infektion in einem Bergwerk wird sich wahrscheinlich auf die Gemeinden um das Bergwerk herum ausbreiten, in denen die Minenarbeiter leben.“ Mit diesen Worten gab der vorsitzende Richter dem von der Klage adressierten Ministerium für Bodenschätze und Energie außerdem mit auf den Weg, dass Vertreter der Bewohner*innen dieser zumeist informellen Siedlungen zukünftig angehört werden müssen und in die Sicherheitskonzepte einbezogen werden müssen.

Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Das hier unter Corona-Bedingungen erstrittene Urteil ist somit ein wichtiger Etappensieg. Richard Spoor, einer der AMCU-Anwälte zog am 11. Mai auf Twitter diesen Vergleich:

„An die 301.000 Menschen erkrankten in 2018 in Südafrika an Tuberkulose, 63.000 starben daran. Tuberkulose breitet sich auf den gleichen Wegen wie Covid-19 aus und traf überproportional viele arme Menschen. Niemand zog deshalb einen landesweiten Lockdown in Erwägung.“ Diese Zahlen geben mit Nachdruck zu erkennen, dass Covid-19 für viele Südafrikaner*innen nur eine weitere unter bereits bestehenden und verstetigten Katastrophen ist.

Wiederholungsschleifen oder die Chance auf nachhaltige Verbesserungen?

Die aktuellen Prognosen für den Industriesektor PGM-Bergbau (PGM: Platin-Gruppen-Metalle) sind geradezu überschwänglich, wie aus dieser Pressemitteilung deutlich wird: „In ihrem neuesten Bericht geht die Weltbank von einer Steigerung der Nachfrage nach Batteriemetallen bis zum Jahr 2050 um 500 Prozent aus.“

Vor und während der Übernahme durch Sibanye-Stillwater war der Marktwert von Lonmin stark heruntergespielt worden, das Unternehmen wurde als kaum profitabel und stark sanierungsbedürftig dargestellt. Kaum ein halbes Jahr nach der Übernahme steht Sibanye-Stillwater als zweitgrößter PGM-Produzent weltweit und als ein Unternehmen da, das aus Anlegersicht alles richtig gemacht hat. Am 18. Mai verkündete ein südafrikanisches Wirtschaftsmagazin: „In Sibanye´s Händen erweist sich Marikana als herausragender Standort. Ehemalige Lonmin-Vermögenswerte zeigen mit neuem Management ihren wahren Wert.“

Um das zu erreichen, waren Ende 2019 an die 5000 festangestellte Arbeiter*innen entlassen worden. Und in der derzeitigen pandemischen Krisensituation scheint die Angst vor weiteren Entlassungen durchaus begründet. Denn trotz der glänzenden Langzeitprognosen übt sich auch Sibanye weiterhin in Drohgebärden: „Wir machen gerade nur 50% der möglichen Gewinne, “ sagte ein Unternehmenssprecher ebenfalls am 18. Mai. Auch der AMCU-Vorsitzende Joseph Mathunjwa warnte bereits davor, dass Covid-19 von den Unternehmen als Anlass zu weiteren Entlassungen genutzt werden könnte. Das führt dann dazu, dass viele die drohende Arbeitslosigkeit konkret die größere Bedrohung darstellt als das Virus.

Das Spiel ist also beileibe nicht neu in Südafrika, die Mechanismen und Kräfteverhältnisse sind bekannt. Es bleibt zu hoffen, dass die derzeitige Situation nicht nur bekannte Probleme verstärkt, sondern dazu beitragen kann, dass die betroffenen Menschen in Allianz mit NGOs, engagierten Jurist*innen und Gewerkschaften es schaffen, den Druck auf die Regierung weiter zu verstärken. Bereits am 13. Mai erschien im Daily Maverick ein offener Brief von verschiedenen Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft, „Cry of the Xcluded“, eine im Februar 2020 gegründete Kampagne, für die unter anderem langjährige Konflikte zwischen AMCU und dem Gewerkschaftsbund SAFTU (South African Federation of Trade Unions) beigelegt wurden. Darin wird dazu aufgerufen, die Krise endlich als Anlass zum Umdenken zu begreifen, der folgendermaßen beginnt:

„Die Covid-19 Pandemie wird zu einer globalen wirtschaftlichen Krise und Massenarbeitslosigkeit führen. Südafrika befand sich bereits vor der Pandemie in einer Phase der Rezession. Wir haben seit langen Jahren das Problem der Massenarbeitslosigkeit. Es gehen bereits jetzt jeden Abend mehr als 14 Millionen Menschen hungrig ins Bett. Das alles wird sich jetzt noch verschlimmern. Eine Tragödie ungeheuren Ausmaßes kündigt sich an und nur unser Zusammenhalt kann eine völlige Katastrophe abwenden. (….)

Unsere Antwort ist:

Wir müssen den Übergang in eine gerechte und ökologische Wirtschaftspolitik einleiten.

Die Regierung muss drei Millionen Arbeiter*innen einstellen. Diese müssen unmittelbar von den lokalen und zentralen Regierungsbehörden eingestellt werden. Die Mittel der Regierungsbehörden der einzelnen Bundesstaaten müssen in lokale Strukturen einbezogen werden, um effektiver handeln zu können.

Wann soll das geschehen?

Jetzt.“