Die Doppelmoral der südafrikanischen Regierung im Umgang mit COVID 19

Der private Sicherheitsdienst Red Ants zerstört Häuser der Armen

Dies ist die Übersetzung des Originaltextes von Bischof Jo Seoka. Eine leicht gekürzte Version erschien am 26.4.2020 in der Printausgabe des Sunday Independant in Südafrika

Die erste Reaktion des Staates auf das Corona-Virus war lobenswert, Präsident Cyril Ramaphosa initiierte zügig Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von COVID 19. So gewann Ramaphosa die Herzen vieler dankbarer Bürger*innen: Die Menschen verstanden und wünschten sich, Leben gerettet zu sehen und Verhältnisse wie in Spanien zu vermeiden – wo tausende starben, als das Land für kurze Zeit zum Epizentrum der Pandemie wurde. Die Hygienemaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen, die Anweisungen zu Niesen und Husten, sowie die soziale Distanzierung halfen, die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Diese Erfolge führten zu einer Annäherung zwischen der Regierung und den Bürger*innen. Auch die zweite Phase der Öffnung, die ausgewählte Einkaufsmöglichkeiten und nötige Dienstleistungen wie beispielweise Klempner wieder zuließ, waren Zeichen der Bereitschaft, zu erkunden, was unter Lockdown-Bedingungen möglich ist – mit Augenmaß für das gesellschaftliche Wohlergehen und die Bekämpfung der Pandemie im Auge zugleich.

Ebenso stößt das Maßnahmenpaket zur Stärkung der Konjunktur in Zeiten von Covid19, das Ramaphosa am 21. April ankündigte, auf Zustimmung. Die 500 Milliarden Rand (umgerechnet ca. 24, 5 Milliarden Euro) für soziale und wirtschaftliche Unterstützung werden in der Tat einen großen Beitrag zur Bewältigung der sozialen Herausforderungen und des Hungers leisten. Viele Menschen in Südafrika spüren bereits in voller Härte die Auswirkungen des Lockdowns. Auch kleine und mittelständische Unternehmen werden dadurch entlastet und können zunächst überleben. Die Armen werden für eine Weile etwas zu essen auf dem Tisch haben. Aber all diese guten Gesten sind nichts wert, wenn wir die eine Regel vergessen: „Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu“ (Matthäus 7,12). Ich möchte hier daran erinnern, dass wir alle Menschen mit Freundlichkeit, Anstand, Respekt und Menschlichkeit behandeln müssen.

Im Angesicht der Notwendigkeit des nationalen Zusammenhalts und der Solidarität können wir nicht so tun, als sei alles in Ordnung, wenn ausgerechnet die Menschen, die dem Schutz und der Fürsorge der Gemeinschaft am nötigsten bedürfen, allein gelassen werden und Opfer grausamer Verbrechen werden. Wie viele gute Menschen, deren einziges „Vergehen“ die Armut ist, sind bereits von Soldaten und Polizisten erniedrigt und sogar getötet worden? Die Medien berichteten vom abscheulichen Verhalten von Staatsbeamten in Lawley und Orange Farm. Wenn Menschen wirklich an erster Stelle stehen, muss das sofort ein Ende haben.

Selbst wenn diese Menschen illegal Grundstücke besetzen, ist dies nicht die Zeit, sie dafür zu bestrafen. Sie können nirgendwo anders hingehen, um Schutz zu suchen. Sie können nicht auf der Straße leben, schutzlos dem Virus und möglicher Verhaftung oder gar dem Tod ausgesetzt – von der Hand derer, die sie eigentlich schützen sollten.

Abahlali Basemjondolo (siehe dazu auch in diesem Newsletter) haben die gewalttätige Natur (des Sicherheitsdienstes) „Red Ants“ angesprochen (Die Red Ants sind ein privater südafrikanischer Dienstleister, der derzeit landesweit in Südafrika in der Kritik steht, Anm d. Red.). Entgegen aller Beteuerungen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden, ist dahingehend bisher nichts geschehen. All dies geschieht trotz der Forderung des Justizministers nach einem Räumungsmoratorium und der Zusicherung des Ministers für Siedlungswesen, dass während des Lockdowns niemand vertrieben werden darf.

Die Öffentlichkeit muss sich fragen, ob es hier nicht um Konkurrenzen innerhalb der regierenden Partei geht, wo eine Hand nicht weiß (oder wissen will), was die andere tut. Der Präsident als Oberbefehlshaber der Südafrikanischen Streitkräfte müsste dieselben Befugnisse nutzen, mit denen Soldaten in Townships entsandt wurden, um nun diejenigen zu überwachen und festzunehmen, die dort ihr Unwesen treiben. Mit der gleichen Vehemenz müssen auch die Vertreibungen gestoppt werden.

Wir alle wissen, dass Taten lauter sprechen als Worte, und jetzt ist der Zeitpunkt zu handeln, da Worte scheinbar unbemerkt verhallen. Jetzt wäre es an der Zeit, Häuser mit Wasser und sanitären Einrichtungen zu versorgen. Dann müssten die Menschen nicht gegen Gesetze verstoßen und informelle Siedlungen an Orten errichten, die für andere Zwecke bestimmt sind. Denn auch diese Menschen haben die Regierung mitgewählt, damit diese ihnen dient.

Die Red Ants brechen das Gesetz, wenn sie da draußen unschuldige Menschen bedrängen. Ihr unverschämtes Vorgehen überschreitet ihre Befugnisse, sie sind keine Staatsbeamte im Dienst! Sie handeln kriminell, wenn sie das Eigentum armer und verletzlicher Menschen zerstören und vergrößern noch dazu deren Elend. Es muss eine Untersuchung dieser Vorgänge geben, die Eigentumsverhältnisse des Unternehmens müssen geklärt und die Personen gefunden werden, die die Räumungen angeordnet haben. Unschuldige Menschen wurden verhaftet, weil sie sich außerhalb ihrer Wohnungen aufhielten, um nötige Besorgungen zu machen, und obdachlose Menschen, die auf den Straßen leben müssen.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies alles auf politische Seilschaften zurückzuführen ist, wie die Herstellung von Masken in den Farben einiger politischer Parteien oder skrupelloser Unternehmen nahelegen. Seit langem schon hätte die Regierung allen Bürger*innen Häuser zur Verfügung stellen sollen, insbesondere den Ärmsten der Armen. Das ist ein Menschenrecht.

In Zeiten wie diesen müssen wir Ubuntu leben, damit es nicht zu einem Klischee verkommt, sondern ein praktisches Beispiel dafür sein kann, wer wir als Volk sein wollen. Die Menschen müssen in unserem Denken, unserer Entscheidungsfindung und unserem Handeln an erster Stelle stehen. Sowohl die Red Ants als auch ihre Auftraggeber müssen zur Rechenschaft gezogen werden, damit an alle, die die staatliche Autorität untergraben haben, eine starke Botschaft übermittelt wird. Obwohl die Zeiten angsteinflößend sind und die Verluste durch die Corona-Pandemie auf unseren Schultern lasten, dürfen wir nicht aufgeben. Wir müssen die Hoffnung für unser Land, seine Menschen und unsere Zukunft erhalten.

Im Zentrum unserer Bemühungen sollten diejenigen stehen, die am wenigsten Schutz und Zugang zu Information haben, und sich der Gefahren der Epidemie nicht bewusst sind. Marginalisierte Obdachlose und die Menschen in Lawley, Khayelitsha, Alexandra und in Diepkloof müssen sich so weit wie möglich der Gefahr bewusst werden, die von diesem unsichtbaren Feind ausgeht. Mit Geduld und Sorgfalt müssen wir sie aufklären. Aber die Dringlichkeit, mit der auch sie die Sicherheitsvorschriften einhalten müssen, darf nicht in Repression durch diejenigen Behörden umschlagen, die zu ihrem Schutz da sein sollten.

Zugegeben, wir sind immer noch eine im Werden begriffene Nation. Das Virus trifft uns im anhaltenden Ringen um Wiedergutmachung, denn das Erbe der Unterdrückung tritt im heutigen Südafrika noch immer hartnäckig zu Tage. Es liegt noch ein langer Weg vor uns, aber jetzt, im Angesicht dieser Krise sind wir verpflichtet, alles zu tun, was in unserer Macht liegt. Wir dürfen jetzt nicht versagen!

Bischof Joe Seoka

Mittwoch, 22. April 2020