Ein Aktionsprogramm zur Zeit von COVID-19

Ein Aufruf zur sozialen Solidarität in Südafrika

Veröffentlicht am 24. März 2020 von der C19 People’s Coalition, Übersetzung: Julia Thrul

Als Bürgerorganisationen, Gewerkschaften, Organisationen des informellen Sektors, religiöse Organisationen und Gemeinschaftsstrukturen in Südafrika rufen wir alle Menschen, alle Interessenvertreter*innen und Sektoren auf, die Infektion einzudämmen, die Übertragung zu reduzieren und die sozialen und politischen Auswirkungen des COVID-19-Virus zu mildern.

Die Regierung spielt weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Koordinierung von Maßnahmen und der Verteilung von Ressourcen, aber ihre Bemühungen werden nicht ausreichen, wenn wir sie nicht zur Rechenschaft ziehen und uns nicht zu einer breit angelegten, gesellschaftlich getragenen, öffentlichen Anstrengung verpflichten. In einer so ungleichen Gesellschaft wie der unseren müssen wir zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass alle Sicherheitsmaßnahmen gerecht und fair verteilt werden.

Wir haben die besondere Pflicht, diejenigen zu schützen, die am schutzbedürftigsten sind, diejenigen, die bereits hungern, mit geschwächtem Immunsystem und schlechtem Zugang zur Gesundheitsversorgung leben. Größere Einschränkungen und Schließungen stehen bevor, aber sie werden nur funktionieren, wenn die Arbeiterklasse und die armen Gemeinden volle Unterstützung erhalten. Drastische Maßnahmen sind notwendig, wenn wir eine Katastrophe vermeiden wollen. Jeder von uns muss jetzt handeln.

In Anerkennung anderer Erklärungen von anderen Bewegungen und Organisationen haben wir das folgende Aktionsprogramm vorgelegt, auf das wir alle in den kommenden Tagen hinarbeiten müssen.

  1. Einkommenssicherheit für alle

Damit die Menschen zu Hause bleiben, muss es Einkommenssicherheit für alle geben. Die Arbeitgeber*innen müssen weiterhin Gehälter zahlen oder Krankheitsurlaub gewähren, während die Arbeitnehmer*innen auf ihr Zuhause beschränkt sind, und wenn eine Lohnfortzahlung nicht möglich ist, muss die Regierung den Arbeitnehmer*innen einen Einkommensschutz für die während der Pandemie verlorenen Löhne bieten. Während dieser Zeit muss es ein Moratorium für Personalabbau geben. Selbständige, Gelegenheitsarbeiter*innen und diejenigen, deren Einkommen zu diesem Zeitpunkt ausgesetzt ist, müssen von der Regierung unterstützt werden, um die Arbeitssuche zu verhindern und Einkommenssicherheit zu gewährleisten. Das Sozialhilfesystem muss ausgebaut werden, um die zur Verfügungsstellung von Bargeld an die Haushalte in dieser prekären Zeit zu gewährleisten. Alle Zahlungsausfälle bei der Rückzahlung von Hypotheken und Schulden während dieser Zeit dürfen keine negativen Folgen haben. Alle Zwangsräumungen und Vertreibungen müssen verboten werden. Wie vom Arbeitsministerium vorgeschlagen, wird jetzt ein mutiges Konjunkturpaket erforderlich sein. Diese Maßnahmen müssen in Absprache mit den Ärmsten der Gesellschaft und sowie offiziellen Strukturen derArbeitnehmer*innen entwickelt werden.

  1. Alle Haushalte, Wohneinrichtungen, Obdachlose und informell Lebende müssen leichten Zugang zu sanitären Einrichtungen, insbesondere zu Wasser und sicheren Waschgelegenheiten, haben.

Es muss eine sofortige Entsperrung von Wasserzählern mit beschränktem Zugang geben, eine Massenversorgung mit sicheren Wasseranschlüssen mit ungehindertem Durchfluss in Gebieten, in denen der Zugang der Haushalte zu Wasser begrenzt ist, ebenso eine Massenverteilung von sicheren Sanitäranlagen in informelle Siedlungen. Alle diese Sanitäranlagen müssen Zugang zu Seife und/oder Desinfektionsmitteln und Informationen über die Prävention des Virus haben.

  1. Alle Haushalte, Wohneinrichtungen, Obdachlose und informell Lebenden müssen Zugang zu Lebensmitteln haben.

Wenn wir in dieser Zeit zu Hause bleiben wollen, ist der Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln von grundlegender Bedeutung. Das Fehlen des Schulernährungsprogrammes ist verheerend. Es muss eine koordinierte und sichere Verteilung von Lebensmittelpaketen direkt an die Verteilungspunkte in schlecht versorgten Stadtvierteln durchgeführt werden. Wenn dies nicht gelingt, muss das Kindergeld aufgestockt werden. Die Unterstützung für lokal organisierte Ernährungssicherungssysteme muss erhöht werden.

  1. Wichtige private Einrichtungen müssen für die öffentliche Nutzung bereitgestellt werden, um eine einheitliche und gerechte Verteilung von grundlegenden Gütern und Dienstleistungen an alle zu gewährleisten.

Die nationalen Ressourcen müssen konzentriert und zur Bekämpfung der Epidemie eingesetzt werden. Die Daseinsvorsorge – Gesundheitszentren, Lebensmittel-versorgung, Wasser und sanitäre Einrichtungen usw. – sollten für eine dringende Unterstützung und Erweiterung identifiziert werden. Dies kann die Umstellung von Fabriken und anderen Produktionsstätten auf die Herstellung von Desinfektionsmitteln, Schutzkleidung, Wasserspeicher, Seife, Lebensmittelpaketen, Ventilatoren und anderen essentiellen medizinischen Geräten erfordern. Wichtige private Einrichtungen müssen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, um eine einheitliche und gerechte Verteilung von wesentlichen Gütern und Dienstleistungen an alle zu gewährleisten. Dies erfordert, dass das öffentliche und das private Gesundheitssystem als ein nationales Gesundheits-system betrachtet und im nationalen und öffentlichen Interesse koordiniert werden müssen, gegebenenfalls auch durch Verstaatlichung, wie Spanien kürzlich gezeigt hat. Möglicherweise müssen die Finanzen durch unkonventionelle Mittel mobilisiert werden, wie z.B. durch obligatorische nationale Anleihen oder Darlehen, Reformen der Steuerstrukturen und andere. Exportierte Nahrungsmittel müssen möglicherweise lokal umverteilt werden. Regelungen zur Verhinderung von Preiserhöhungen sollten umgesetzt werden.

  1. Die Selbstorganisation der Gemeinschaft und lokale Maßnahmen sind von entscheidender Bedeutung, ebenso wie unsere Repräsentation in der nationalen Koordination.

Bürgerinitiativen, Gemeinschaftsstrukturen, Gewerkschaften und kirchliche Organisationen werden bei der Koordination vor Ort in dieser Notlage äußerst wichtig sein. Wir müssen alle dort, wo wir sind, aktiv werden. Die zivilen Strukturen müssen mit einbezogen und unterstützt werden sowie im nationalen Kommandorat vertreten sein. Die Verbreitung zuverlässiger Informationen, wesentlicher Dienste und die Versorgung unserer Bevölkerung wird eine massive koordinierte Anstrengung von Gemeindeleitern und -strukturen erfordern. Freiwillige müssen für sichere, koordinierte Kampagnen auf der Straße und für die Bewohner*innen von Institutionen ausgebildet und organisiert werden. Gemeinschaften und Organisationen der Mittelklasse und der Wohlhabenden haben die Pflicht, den Armen und arbeitenden Gemeinschaften Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

  1. Die Mitarbeiter*innen des kommunalen Gesundheitswesens müssen durch Insourcing ausgebildet und unterstützt werden und, zusammen mit anderen Mitarbeiter*innen der Gesundheits- und Rettungsdienste an vorderster Front, Zugang zu den Ressourcen haben, die für eine sichere und wirksame Eindämmung des Virus erforderlich sind.

Die 70 000 lokalen Gesundheitsfachkräfte sind die Stütze unserer Versorgung vor Ort. Wenn sie und andere an vorderster Front tätige Gesundheitsfachkräfte und Mitarbeiter*innen von Notfalldiensten die in dieser Zeit erforderlichen kommunalen Dienstleistungen erbringen sollen, müssen sie alle Zugang zu zuverlässigen Informationen, Sicherheits- und Schutzausrüstungen sowie zu Tests und anderen Ressourcen zur wirksamen Eindämmung des Virus haben.

  1. Wir müssen Strategien zur Beruhigung der Spannungen und zur Abwenden der Gewalt in unseren Häusern finden.

Eine Quarantäne zu Hause wird die Spannungen in der Familie und in den Beziehungen verschärfen und vermutlich zu mehr Gewalt gegen Frauen, Kinder und andere, die in unseren Familien und Gemeinschaften am stärksten marginalisiert sind, einschließlich LGBTI und Ausländer*innen, führen. Wir müssen Strategien zur Entspannungen und zur Verhinderung der Gewalt in unseren Wohnungen und Gemeinschaften in dieser Zeit aufzeigen. Wir brauchen eine starke Aufklärungskampagne gegen alle Formen von Gewalt, insbesondere gegen häusliche Gewalt. Wir müssen die effektive Hilfsmaßnahmen der bestehenden Nachbarschafts-, regionalen und nationalen Organisationen, die Frauen und Kinder unterstützen, verstärken. Dazu gehört die Ausweitung des Zugangs zu Notrufnummern für häusliche Gewalt, psychische Gesundheit, die Erleichterung der Zuteilung von Obdach und die Bereitstellung von Mitteln für Unterkünfte, damit diese in der Zeit des Virus geöffnet, funktional und sicher bleiben.

  1. Die Kommunikation muss frei, offen und demokratisch sein.

Es muss eine sofortige Verteilung kostenlosen Internetzugangs an alle geben, damit die Menschen gute Informationen erhalten, während der Isolation und Quarantäne Kontakt zu ihren Lieben aufnehmen können, sowie die Maßnahmen nachvollziehen können, die zur Schaffung von Sicherheit ergriffen werden. Der Zugang zu den besten internationalen Forschungsergebnissen sollte frei und öffentlich sein. Es muss täglich nationale Pressekonferenzen von Regierungschefs sowie von Wissenschaftler*innen und Fachleuten geben, die uns alle über die entstehende Situation auf dem Laufenden halten können.

  1. Die Ungleichheiten innerhalb unserer Bildungsdienste müssen sorgfältig bedacht und abgemildert werden, wenn wir zum E-Learning übergehen.

Daten und kostenlose Website-Inhalte müssen den Bildungseinrichtungen für das weitere Lernen und Lehren auf breiter Basis zur Verfügung gestellt werden. Es gibt jedoch eine massive Ungleichheit beim Zugang zu Ressourcen wie Computern, Elektrizität, W-Lan und Lernraum sowie schwierige Situationen zu Hause, die arme und arbeitende Lernende, Student*innen und Pädagog*innen unverhältnismäßig stark beeinträchtigen. Der Übergang zum Online-Lernen sollte vorsichtig und als vorübergehende Maßnahme erfolgen. Wir sollten die Ungleichheiten im Bildungssystem nicht dadurch ausweiten, dass wir nur einigen wenigen eine Fernausbildung ermöglichen. Schulen und Universitäten sollten ihre kollektive Rolle als Volkspädagogen und -entwickler in Betracht ziehen, die mit einer beispiellosen gemeinsamen Erfahrung konfrontiert sind. Schulen, Wohnheime und Schlafsäle sollten in dieser Zeit als öffentliche Ressource verstanden werden, auch für die sichere Verteilung von Lebensmitteln und anderen wichtigen Dienstleistungen, die durch Schulschließungen unterbrochen werden.

  1. Wir müssen einen nationalistischen, autoritären und auf Polizeigewalt orientierten Ansatz bei der Eindämmung des Virus verhindern.

Wir müssen uns vor dem leichten Einsatz von Militär und Polizei hüten, um Sicherheit in unseren Gemeinden zu schaffen. Wir müssen auch verhindern, dass Sündenböcke für die gegenwärtige Krise geschaffen werden. Stattdessen müssen wir dafür sorgen, dass für die Sicherheit und den Schutz aller, die in unserem Land und in unseren Gemeinden leben, Sorge getragen und Mittel bereitgestellt werden.

Wie jeder von uns auf die COVID-19-Pandemie reagiert, wird darüber entscheiden, was für eine Gesellschaft wir sind. Je besser wir jetzt reagieren, desto besser werden wir nach der Pandemie sein. Wir müssen uns an internationalen, uns zur Verfügung stehenden, Best Practice Beispielen und der Wissenschaft orientieren, um eine durchsetzungsfähige Antwort zu finden, die dem Kontext unserer eigenen Geschichte und Gesellschaft gerecht wird. Unsere Antwort muss fair, ausgewogen und umverteilend sein, wenn wir den Bedürfnissen aller unserer Menschen gerecht werden wollen. In Zeiten der physischen Distanz ist soziale Solidarität die Lösung.