Keine Hausgemeinschaft mit Firmen mit NS-Vergangenheit

Hamburger Erinnerungskultur ist nicht privatisierbar – Public Private Partnership ist keine Lösung!

Nach dem anhaltenden Skandal um die ehemalige Hamburger Gestapo-Zentrale Stadthaus hier nun der nächste: die Hamburger Dokumentationsstätte für die Opfer der Deportationen in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager soll sich in einem Gebäude befinden, in dem eine NS-Täterfirma ihren Firmensitz haben soll, die im Mehrheitseigentum des IG-Farben-Nachfolgekonzerns BASF ist.

“Wo von seelischen Wunden und Verwundbarkeit die Rede ist, kommen immer auch Gewalt, Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit zur Sprache, ebenso wie gesellschaftliche und staatliche Verantwortlichkeit thematisiert wird.”
(José Brunner, Die Politik des Traumas, 2014)

Seit 15 Jahren begleiten Hamburger Opferorganisationen und die Jüdischen Gemeinden die Entwicklung eines Gedenkortes für die mehr als 8.000 Hamburger*innen, die vom Hannoverschen Bahnhof zwischen 1940 und 1945 in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden.[i] Federführend planen die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, die Kulturbehörde und die HafenCity Hamburg GmbH hier einen Erinnerungsort, der an die Deportation von Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti und anderen politisch Verfolgten gemeinsam erinnern soll.

Das Auschwitz-Komitee und Freundeskreise unterstützen das Projekt eines Erinnerungsortes seit fast zwanzig Jahren: seit 2003 beschäftigen wir uns mit dem Hannoverschen Bahnhof und haben den vergessenen Bahngleisen nachgespürt. Mit Aktionen[ii] wie der Mahnwache am Hauptbahnhof Hamburg im Dezember 2006, mit dem Weg der Erinnerung im Oktober 2007 und dem Zug der Erinnerung im Frühjahr 2008 haben wir die Hamburger Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit eines Gedenkortes hingewiesen.

Aus der Zeitung mussten wir nun erfahren, dass der Öl- und Gasproduzent Wintershall Dea ab Sommer 2022 mit 500 Mitarbeiter*innen ein Bürogebäude am Lohsepark in der Hafencity beziehen will. Für das Erdgeschoss dieses neuen Firmensitzes wurde vor Jahren bereits ein Nutzungsvertrag (Laufzeit 200 Jahre) für das Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof abgeschlossen. Der Vorstandsvor­sitzende der Wintershall Dea, Mario Mehren, wird so zitiert: „Mit dem neuen und langfristig anzumietenden Bürogebäude haben wir Büros gefunden, die zu Wintershall Dea passen“.

Esther Bejarano, Überlebende der KZ Auschwitz und Ravensbrück, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees, hingegen sagt: “Das ist eine Firma, die nicht zu uns passt! Kein Gedenkort unter einem Dach mit einem Konzern mit dieser NS-Vergangenheit! In unserer Wahrnehmung ist das kein passender Partner an diesem Ort.” Wir finden es unzumutbar, dass ein NS-Nachfolgekonzern seinen Konzernsitz nun direkt in dem Gebäude einnehmen will, in dem an die Opfer der Deportationen gedacht werden soll. Denn wir haben den wenigen Überlebenden dieser Deportationen zugehört. Wir wissen, wie ihre Familien mit ihnen gelitten haben. Wir wissen um ihre Alpträume in den Nächten. Wir wissen um die intergenerationelle Weitergabe dieser Traumata. Wir, die nachfolgenden Generationen, haben uns verpflichtet, das Vermächtnis der Opfer und Verfolgten zu bewahren: wachsam zu sein, damit sich nie wiederhole, was damals geschah.

Die Firma Wintershall Dea passt nicht zum Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof: Die Firma Wintershall war in der NS-Zeit nicht nur Teil der aggressiven Aufrüstungs- und Kriegsführungs­politik des Nazi-Regimes, sondern über ihren Vorstandsvorsitzenden Rosterg bereits vor 1933 auch direkter Unterstützer von bekannten NS-Vertretern wie Wilhelm Keppler und Heinrich Himmler (Freundeskreis Keppler/Freundeskreis Himmler). Die Firma Wintershall profitierte von der „Arisierung“, beteiligte sich an der Ausplünderungspolitik der von den Nationalsozialisten okkupierten Länder und beutete tausende Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen in ihren Werken aus. Die Firma Wintershall Dea gehört heute zu 67% der BASF, einem Nachfolgekonzern der IG Farben AG, die das erste firmeneigene KZ Auschwitz-Monowitz errichtete und Zyklon B in die Vernichtungslager lieferte.

Die Firma Wintershall AG hat sich spät mit ihrer NS-Geschichte auseinandergesetzt. Erste, vorläufige Studien wurden dazu – kurz vor ihrem Börsengang – im letzten Jahr veröffentlicht (Grieger, Köhler, Karlsch 2020[iii]). Weitere Untersuchungen, auch zum Fusionspartner Dea, sollen folgen. Die Wintershall Dea GmbH engagiert sich auch regional und lokal gesellschaftspolitisch gegen rechts. Dieses Engage­ment in der Gegenwart ist nicht zu kritisieren. Aber qualifiziert das diese Firma, in guter Nachbar­schaft mit einer Gedenkstätte zu leben, die den Opfern und Überlebenden der NS-Gewaltherrschaft gewidmet ist?

Nach dem Stadthaus steht das nächste Projekt einer Public Private Partnership (PPP) vor dem Schei­tern. Einfach dadurch, dass die Investoren ungehindert die Interessen der öffentlichen Hand igno­rieren und vertragliche Regelungen nach Bedarf auslegen. Das private Interesse überwiegt in der Regel das öffentliche. Geschäftsleute machen Geschäfte zum Zwecke des Geldverdienens, Unternehmens­kultur und Imagepflege sind oft Mittel zum Zweck, das Streben nach Profit bleibt. Das muss jedem klar sein, der öffentliche und gesellschaftliche Aufgaben wie Gedenkarbeit und das Erinnern an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft Projekten der Public Private Partnership überlässt.

Völlig unverständlich ist das Verhalten des vermietenden Investors, der ohne Rücksprache ignorant verstoßen hat gegen die Vereinbarung mit der Gedenkstätte und der Hansestadt Hamburg von 2019. Darin regelt das vereinbarte Dauernutzungsrecht zwischen dem Investor und der Behörde für Kultur und Medien, dass kein Nutzer in das Gebäude einzieht, „der insbesondere in der Wahrnehmung der Opfer des Nationalsozialismus und ihrer Interessenorganisationen (…) (1) im Konflikt mit dem Zwecke des Dokumentationszentrums (…) steht oder (2) der Ausstrahlung eines Gedenkortes abträglich ist“ (§ 14.1).

Wir sagen NEIN zur Vermietung an die Wintershall Dea GmbH und fordern die Aufhebung der Verträge. Haben wir den Mut und den Anstand und nehmen Rücksicht auf die Wahrnehmung der Überlebenden, ihrer Angehörigen und Freund*innen. Einen weiteren Skandal, indem ein jahrelang gefordertes Erinnerungsprojekt im Sumpf der Hamburger Public Private Partnership versinkt, kann sich die Hansestadt schlicht nicht leisten!

Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Der Vorstand:
Esther Bejarano (Vorsitzende) | Susanne Kondoch-Klockow | Helga Obens

[i] https://hannoverscher-bahnhof.hamburg.de/
[ii] http://www.bahnhof-der-erinnerung-hamburg.de/
[iii] Manfred Grieger, Ingo Köhler, Rainer Karlsch (2020): Expansion um jeden Preis Studien zur Wintershall AG zwischen Krise und Krieg, 1929-1945, Frankfurt am Main: Societäts-Verlag. Veröffentlicht: September 2020