Editorial: Neun Jahre nach dem Massaker von Marikana

Familien und Gemeinde warten immer noch auf Gerechtigkeit

Am 16. August jährt sich das Massaker von Marikana zum 9. Mal. Die diesjährigen Gedenkveranstaltungen in Südafrika finden, wie bereits letztes Jahr, in einem besonderen Kontext statt. Die dritte Welle der Corona-Pandemie, die in Südafrika seit Mitte Juni in Gang ist und viele Opfer fordert und die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung lassen keine großen Veranstaltungen zu. Die Gedenkveranstaltungen werden überwiegend online und wenn analog, dann nur im kleinen Rahmen stattfinden. Schwerwiegender als die Corona-Pandemie ist für den diesjährigen Kontext in Südafrika der Tod von 332 Menschen bei Unruhen zwischen dem 9. und 16. Juli. Mehr als ein Monat danach befindet sich das Land noch unter Schock. Die Toten vom 16. August 2012 und die Opfer der Unruhen von Anfang Juli 2021 mögen in unterschiedlichen Kontexten und unter diversen Umständen das Leben verloren haben, aber alle haben etwas gemeinsam: die Proteste gegen die schlechten Lebensbedingungen, die Armut und den Hunger. Es sind die Armut und der nackte Hunger, die sich während der Corona-Pandemie und der damit zusammenhängenden aufeinander folgenden Lockdowns verschlimmert haben, die Familienmütter und -väter, aber auch Jugendliche zum schweren Schritt bewegt hat, illegal Nahrung in den Supermärkten für ihre Familien zu plündern, wohl wissend dass die geplünderten Nahrungsmittel nur für ein paar Tage reichen würden und ihre Probleme langfristig nicht lösen. Ohne diesen nackten Hunger hätten sich der Protest der Zuma-Anhänger:innen und das von ihnen geplante Chaos in Grenzen gehalten. Die Prekarisierung eines Großteils der Bevölkerung, die Verschärfung des Lockdowns ohne Verlängerung der Sozialleistungen hat Zumas Gefängnisstrafe in ein Pulverfass verwandelt. Dabei wissen die Menschen ganz genau, dass ihre Prekarität auch mit dem wegen Korruption und Inkompetenz verlorenen Jahrzehnt der Zuma-Administration zusammenhängt. Diese Prekarität ist auch in Marikana zu beobachten. Neun Jahre nach der Ermordung der 34 Bergleute haben die Bergbau-Konzerne die Gemeinden, die in ihrem Einzugsgebiet leben, im Stich gelassen. Ihre Versprechungen sind leere Worte geblieben, an einer Strategie zur Verbesserung der Lebensbedingungen in und um Marikana mangelt es nach wie vor. Selbst die Minenarbeiter:innen müssen sich seit dem Massaker nur mit kosmetischen Änderungen begnügen, mit denen sich Kund:innen des Platins aus Marikana wie BASF schmücken, um ihr “Business as usual” zu rechtfertigen. Es scheint, dass Sibanye-Stillwater, die Firma, die vor zwei Jahren Lonmin aufgekauft hat, und andere Minengesellschaften in Südafrika niemandem außer ihren Aktionär:innen gegenüber Rechenschaft ablegen. Vor neun Jahren entstand die Erwartung, dass eine Lektion aus dem Massaker darin bestehen würde, dass der Staat den Bergbausektor strenger kontrollieren wird, damit die Minengesellschaften stärker zur Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Arbeitskräfte und der Gemeinden um sie herum beitragen. Gegenüber den Kund:innen des Platins aus Marikana wurde die Erwartung formuliert, dass diese ihre Handlungsspielräume und vor allem ihre Marktmacht nutzen, um Druck auf den Zulieferer im Sinne der formulierten Ziele auszuüben. Nichts von allem ist angetreten. Wir sind es den Ermordeten vom 16. August 2012 schuldig, dass ihr Kampf nicht vergessen wird und wir werden alle Beteiligten immer daran erinnern, bis sich die Verhältnisse in Marikana grundlegend ändern.