Die Südafrikanische Menschenrechtsorganisation SERI (Socio-Economic Rights Institute) unterstützt seit ihrer Gründung im Jahre 2009 Personen und Gruppen, die sich für ihre verfassungsrechtlich verbrieften, aber in der Praxis vielfach vorbehaltenen Rechte vor Gericht einsetzen. Dazu zählen etwa Prozesse zu dem Recht auf Wasser, Wohnraum, Bildung, medizinische Versorgung wie auch die Einhaltung von Arbeitsrechten. Die AnwältInnen von SERI vertreten die Familien der beim Massaker von Marikana ermordeten Minenarbeiter vor Gericht. Im Folgenden bringen wir einen Bericht über ein dabei kürzlich abgeschlossenes und ein noch laufendes Verfahren. Die Berichte geben Einblick in die Komplexität und Kleinteiligkeit der Verfahren – und, zumindest im ersten Fall, in die für die Familien der ermordeten Minenarbeiter desillusionierenden Urteilssprüche.
Der Prozess im Zusammenhang mit dem Tod von drei Bergarbeitern (Semi Jokanisi, Thembelakhe Mati und Pumzile Sokanyile) und zwei Offizieren (Warrant Officer Tsietsi Hendrik Monene und Warrant Officer Sello Ronnie Lepaauku) wurde am 26. Juli 2021 wieder aufgenommen, das Verfahren zum Tod von Motiso Otsile van Wyk Sagalala wurde am 29. März 2021 abgeschlossen.
Zwischen 13. und 16. August 2012 wurden 37 Minenarbeiter, die für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen streikten, erschossen. Drei der streikenden Bergleute und zwei Polizisten starben bei einem Vorfall in Marikana am 13. August 2012. Die Ermittlungen des Independent Police Investigative Directorate (IPID) ergaben, dass alle diese Todesfälle durch polizeiliche Maßnahmen verursacht wurden. Die gesammelten Indizien wurden am 24. April 2017 an die National Prosecuting Authority (NPA) weitergeleitet. Insgesamt wurden neun Polizisten von der NPA angeklagt.
Prozess zu den Umständen des Todes von Motiso Otsile van Wyk Sagalala am 16. August 2012
Motiso Otsile van Wyk Sagalala ist einer von 34 Minenarbeitern, die bei der sogenannten „Szene 2“ , also am „zweiten“ – in den Medien nicht dokumentierten – Ort des Massakers, verletzt wurde und in der Folge an diesen Verletzungen verstarb. Vertreter der Südafrikanischen Polizei sagten vor der Marikana-Untersuchungskommission aus, dass Sagalala im Krankenhaus gestorben sei.
Ein im Rahmen der IPID-Untersuchung entdecktes Fotoalbum enthielt Bilder eines toten Bergmanns auf der Ladefläche eines Polizeiwagens, mit dem am 16. August 2012 Bergleute von „Szene 1“ und „Szene 2“ zu einem Polizeigefängnis transportiert worden waren. IPID identifizierte Sagalala als die auf den Fotos abgebildete verstorbene Person. Ihre Ermittlungen ergaben, dass Sagalala von der Haftanstalt, in der die Fotos seiner Leiche gemacht wurden, in die Leichenhalle der Regierung im Andrew Saffie Krankenhaus gebracht worden war.
Die IPID-Untersuchung ergab also, dass Motiso Otsile van Wyk Sagalala im Polizeiwagen der Haftanstalt starb und, dass die Polizei es unterlassen habe, den Tod gemäß dem IPID-Gesetz an IPID zu melden; Vertreter der Polizei haben demnach die Kommission belogen, als sie aussagten, dass Sagalala in einem Krankenhaus gestorben sei.
Auf der Anklagebank saßen vier Polizeibeamte: der damalige stellvertretende Polizeikommissar von North West, Generalmajor William Mpembe, Gideon van Zyl, Dingaan Madoda und Oupa Pule. Sie waren der Falschaussage vor der Untersuchungskommission sowie des Verstoßes gegen mehrere IPID-Gesetze beschuldigt.
Am 29. März 2021 wurden die vier Beamten von allen Anklagen freigesprochen. Richter Ronald Hendricks entschied, dass der Staat die Schuld der Angeklagten nicht zweifelsfrei nachgewiesen habe. Die Direktorin des SERI, Nomzamo Zondo, die gemeinsam mit den Familien der Minenarbeiter an dem Prozess teilnahm, sagte: „Die Familien der verstorbenen Marikana-Minenarbeiter sind sehr enttäuscht über das Ergebnis der strafrechtlichen Verfolgung der Polizei, die die Umstände des Todes von Sagalala verschleiert haben soll. Was wir wissen ist, dass Sagalala nicht im Krankenhaus starb, es gibt keine Aufzeichnungen darüber, wer ihn ins Krankenhaus gebracht hat, und wir wissen, dass die Südafrikanische Polizei in der Untersuchungskommission nicht offengelegt hat, dass er in Obhut der Polizei gestorben ist; jetzt wurde offenkundig, dass wahrscheinlich 30 Polizisten davon wussten.“
Prozess zu den Todesfällen vom 13. August 2012
Am 10. Mai 2021 begann der Strafprozess rund um den Tod von drei Minenarbeitern (Semi Jokanisi, Thembelakhe Mati und Pumzile Sokanyile) sowie zwei Polizeibeamten (Warrant Officer Tsietsi Hendrik Monene und Warrant Officer Sello Ronnie Lepaauku), die bei einem Zusammenstoß am 13. August 2012 ums Leben kamen.
An diesem Tag – eine Woche nach Beginn des Streiks – marschierte eine Gruppe von Bergarbeitern zu einem der Mineneingänge, um andere Bergleute davon zu überzeugen, sich dem Streik anzuschließen und die Arbeit einzustellen. Die streikenden Minenarbeiter machten danach kehrt, um zu ihrem Versammlungsort, einem Hügel namens Wonderkop zurückzukehren. Auf ihrem Rückweg wurden die Minenarbeiter von der Polizei angehalten. Die Polizei, angeführt vom damaligen stellvertretenden Polizeikommissar William Mpembe, versuchte, mit den Minenarbeitern zu verhandeln, um sie ihrer traditionellen Waffen (Stöcke) zu entwaffnen. Die Minenarbeiter drückten ihren Wunsch aus, sich dem Rest ihrer Kollegen anzuschließen, die friedlich am Wonderkop protestierten. Die Polizei erlaubte ihnen erst weiterzumarschieren. Doch plötzlich änderte die Polizei ihre Strategie und weigerte sich Verhandlungen fortzusetzen. Die Minenarbeiter setzten daraufhin ihren Marsch friedlich fort, die Polizei schoss mit Tränengas, kurz darauf folgten Blendgranaten – was zu Tumulten und Panik führte. Dabei kamen die drei Minenarbeiter und zwei Polizeibeamten ums Leben. Im Prozess ging es um den ungerechtfertigten Einsatz von Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschossen, die die Situation eskalieren ließen.
Im Verfahren um die Ermordung des Minenarbeiters Pumzile Sokanyile, der an den Folgen eines Kopfschusses starb, waren die Polizeibeamten William Mpembe, Johannes Vermaak, Nkosana Mguye, Masilo Mogale, Katlego Joseph Sekgweleya und Khazamola Phillip Makhubela. William Mpembe ist der einzige Beamte, der für alle Morde angeklagt ist, da er der Einsatzleiter war und die Anweisung gegeben hat, Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschosse abzufeuern. Der Strafprozess wurde drei Wochen lang verhandelt und nach einer Verschiebung am 26. Juli 2021 wieder aufgenommen. Der Ausgang ist noch offen.