Grundeinkommen und soziale Sicherheit – die Debatte ist wieder eröffnet

von Simone Knapp

Weltweit ist das Grundeinkommen wieder im Gespräch, sei es als Notsicherung für eine kurze Zeit oder als langfristige Absicherung für die gesamte Bevölkerung. Ein universelles, bedingungsloses Grundeinkommen (BIG), das ungeachtet der Einkünfte oder des Vermögens an alle Menschen von der Geburt bis zum Tod ausgezahlt wird, hat aber bisher noch kein Land gewagt.

Zur Zeit kommen Länder wie Namibia oder Südafrika, die schon seit Ende der 1990er Jahre die Debatte um ein soziales Sicherungssystem und um ein BIG führen, angesichts der Auswirkung der Pandemie und des Lockdowns auf die Lebenssituation eines großen Teils der Bevölkerung darauf zurück.

Südafrikas soziales Sicherungssystem in der Krise

Südafrika etwa hat sich unter Thabo Mbeki dazu entschlossen, ein durchaus ausgeklügeltes soziales Sicherungssystem aufzubauen, angefangen mit Kindergeld (child support grant), staatlicher Rente (pension) ab 60, Invalidenrente (disability grant) und einigen anderen Unterstützungssystemen.

2005 gründete die Regierung die Agentur SASSA (South African Social Security Agency), die im Auftrag des Ministeriums für soziale Entwicklung Sozialleistungen verwaltet. Dabei werden alle Anträge einer Bedürftigkeitsprüfung unterzogen, sie sind also nicht bedingungslos und nicht universell. Das hat zur Folge, dass das System einerseits korruptionsanfällig ist, dass gerade diejenigen, die es am Nötigsten hätten – aus welchen Gründen auch immer – keinen Zugang haben und dass es Lücken gibt. Die größte Lücke dabei betrifft die vielen arbeitslosen jungen Menschen über 18. Sie haben keinen Zugang zu einer Grundsicherung. Die Arbeitslosenhilfe (UIF) ist nur für diejenigen, die einen formalen Job hatten und die zusammen mit ihrem Arbeitgeber während dieser Zeit eingezahlt haben. Informell Beschäftigte haben in der Regel keinen Zugang zum UIF.

Die Zahl der Zuschussempfänger*innen liegt schon vor der Corona-Krise in Südafrika 2020 bei über 18 Millionen, für die der Staat derzeit 162,9 Milliarden Rand (8,5 Milliarden €) ausgibt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 40 Prozent (einschließlich entmutigter Arbeitssuchender), wobei davon über 60 Prozent zwischen 15 und 34 Jahre alt sind. Viele von ihnen, vor allem diejenigen ohne abgeschlossene Ausbildung, werden nie eine formale Anstellung finden. Auch deshalb, weil die Zahl der Arbeitsplätze im formellen Sektor als Folge der makroökonomischen Herausforderungen in der Weltwirtschaft immer weiter abnimmt.

Der informelle Sektor und die beiden Sozialhilfemaßnahmen Kindergeld und Rente halten die Familien bisher am Leben. Mit dem strengen Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie verloren die über sieben Millionen im informellen Sektor Beschäftigten von einem Tag auf den anderen ihre Einnahmenquelle: Straßenhändler*innen durften nicht mehr verkaufen, Kleinbäuer*innen konnten nicht mehr auf ihre Felder, Gemüsegärten konnten nicht mehr bewirtschaftet werden und die kleinen Fischer durften mit ihren Booten nicht mehr aufs Wasser. Kinder erhielten keine Mahlzeit mehr in der Schule und die Frauen konnten ihr Essen auch nicht mehr an Schüler*innen oder Arbeitende in deren Mittagspause verkaufen.

Präsident Ramaphosas Regierung erkannte die Notlage der Menschen und reagierte zunächst mit einer Erhöhung der bestehenden Sozialleistungen. So wird das Kindergeld im Mai um zusätzliche 300 Rand und von Juni bis Oktober um monatlich 500 Rand aufgestockt. Alle anderen Zuschussempfänger erhalten in den nächsten sechs Monaten je 250 Rand mehr.

Einkaufskorb und Mindesteinkommen

Parallel dazu stiegen die Ausgaben für Lebensmittel zwischen März und Mai dieses Jahres um 7,8 Prozent. Schuld daran ist nicht allein die tatsächliche Preissteigerung etwa in den Supermärkten, sondern vor allem das veränderte Einkaufsverhalten, das den Menschen mit dem Lockdown aufgezwungen wurde. Mervyn Abrahams von der Pietermaritzburg Economic Justice and Dignity Group, der seit vielen Jahren den Einkaufskorb südafrikanischer Familien berechnet und daraus Zahlen für existenzsichernde Löhne generiert, geht davon aus, dass Menschen während des Lockdown 30 Prozent mehr für ihre Ernährung ausgeben müssen.

„Bisher“, so Abrahams, „konnten die Menschen in verschiedenen Läden jeweils die Sonderangebote kaufen. Jetzt müssen sie sich in einer langen Schlage anstellen und nehmen, was es dort gibt. Außerdem fehlen die ganzen Straßenhändler*innen, die ihre selbstgemachten oder selbst angebauten Lebensmittel verkaufen und das oft viel billiger als der Supermarkt um die Ecke.“ Darüber hinaus seien jetzt mehr Menschen in den Familien zu ernähren, weil etwa Schulen geschlossen und auch Gelegenheitsarbeiter*innen jetzt zuhause seien. Auch die vielen ehrenamtlichen Suppenküchen hätten wegen Corona geschlossen werden müssen. „Der Einkaufskorb am 4. Mai betrug 3470,92 Rand (181 €). Das ist mehr als der nationale Mindestlohn von R3 321,60 (173 €).“ Der reichte in normalen Zeiten schon nicht aus, um das Überleben der Familien zu sichern. Jetzt kommt noch der erhöhte Bedarf etwa an Hygieneartikeln und Wasser hinzu.

Solidarity Fund und Beihilfe zur sozialen Linderung von Notlagen (social relief of distress grant)

Der Solidaritätsfonds wurde am 23. März 2020 als Reaktion auf die Corona-Krise in Südafrika initiiert. Er ist eine Spendenplattform für die breite Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft und den öffentlichen und privaten Sektor und hat bisher vor allem Lebensmittelpakete an Bedürftige verteilt. In allen neun Provinzen werden insgesamt 250.000 Familien mit Lebensmittelpaketen, die für zwei bis vier Wochen reichen sollen, eingedeckt. Doch die Nachfrage war von vorne herein so groß, dass sie für den Fonds und die beteiligten NGOs kaum zu bewältigen war. Unterstützung von Seiten lokaler und kleiner NGOs wurde durch Lockdown-Regularien und eine große bürokratische Hürde zunächst verhindert.

Am 11. Mai kündigte Ministerin Lindiwe Zulu den Sonderzuschuss COVID-19 zur sozialen Nothilfe an. Dieser Zuschuss in Höhe von 350 Rand (18 €) pro Monat soll über einen Zeitraum von sechs Monaten denjenigen eine gewisse Unterstützung bieten, die keinen Zugang zu einer anderen Form des Einkommens haben.

Allerdings erhalten diese Leistung nur Personen, die über 18 Jahre alt und arbeitslos sind, keinerlei Einkommen oder Sozialhilfe beziehen, keine Arbeitslosenhilfe (UIF) beziehen oder darauf Anspruch haben, kein staatliches Stipendium erhalten und in keiner staatlich finanzierten oder subventionierten Einrichtung wohnen.

Angesichts der oben genannten Zahlen, was eine Familie derzeit braucht und wie sich die Preise gerade entwickeln, ist der Betrag geradezu lächerlich.

„Kaum einer von uns wird diesen Zuschuss erhalten, weil wir fast alle Kinder haben“, berichtet Thabang Mokoena aus Ratanda (Gauteng). Eltern, die Kindergeld erhalten, können für die Familie also keinen weiteren Zuschuss bekommen. Ähnlich wie bei der staatlichen Rente geht die Regierung davon aus, dass mit diesen eigentlich auf einen bestimmten Personenkreis zugeschnittenen (man spricht hier von Targeting) Unterstützung, die ganze Familie versorgt wird.

Aus der Zivilgesellschaft kommt Kritik, nicht zuletzt aufgrund der geringen Höhe. Die Aktivist*innen bemängeln den Umstand, dass dieser Zuschuss als „Sicherheitsnetz“ angepriesen werde, was ein Mindestmaß an Unterstützung voraussetzt. Doch diese Corona-Sonderleistung sei weder ein nachhaltiger Betrag zur Ernährungssicherheit noch gebe es einen irgendwie universeller gestalteten Zugang dazu.

Namibia, das Land mit dem BIG-Pilotprojekt

Otjivero, ein Dorf rund 100 km westlich von Windhuk, wurde weltweit berühmt durch das erste Pilotprojekt, das ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bewohner*innen des Dorfes unter 59 Jahren ausgezahlt und wissenschaftlich begleitet hatte. Namibia war auch das Land, von dem lange angenommen wurde, dass es als erstes landesweit das BIG einführen würde. Grund dafür war die Ernennung des ehemaligen lutherischen Bischofs Kameeta zum Minister für Armutsbekämpfung und soziale Wohlfahrt. Denn Kameeta stand wie kein anderer im Land für das Grundeinkommen. Doch er scheiterte, verlor mit dem zweiten Kabinett unter Präsident Geingob seinen Ministerposten, ohne wirklich etwa für die Einführung des BIG getan zu haben.

Umso kläglicher auch hier der Versuch der Regierung, die Not vieler Menschen in Namibia, die durch den Lockdown wenn nicht hervorgerufen so doch massiv verschärft wurde, zu lindern. Der einmalige Notfallzuschuss (Emergency Income Grant, EIG) beträgt 750 Namibische Dollar (40 €) pro anspruchsberechtigter Person. Am 15. April, also etwa einen Monat nach Einführung des Lockdown, konnte einer ersten Gruppe von insgesamt 146.974 Empfänger*innen eine Gesamtsumme von 110 Millionen N$ ausgezahlt werden. Insgesamt gingen in den ersten fünf Tagen nach Bekanntgabe der Einführung des EIG landesweit 327.528 Anträge ein, davon wurden180.554 abgelehnt. Laut Ministerium kamen die meisten Ablehnungen aufgrund falscher Angaben.

Diese Leistung soll für drei Wochen diejenigen zwischen 18 und 59, die ihr Einkommen aufgrund von Corona und des Lockdown verloren haben, finanziell unterstützen. Die Regierung ging anfänglich wohl davon aus, dass der Lockdown nach drei Wochen wieder aufgehoben werden würde und die Menschen wieder ihrer Arbeit nachgehen könnten. Dies war jedoch nicht der Fall. Er wurde bis 4. Mai verlängert und seither wurden weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus eingeführt, die nach wie vor massiv in das Leben und Wirtschaften der Menschen eingreifen und ihre Lebensgrundlage bedrohen.

Bisher ist nicht bekannt, ob die Regierung die Einmalzahlung wiederholen wird.

Grundeinkommen für alle

Es gibt inzwischen einige Kampagnen, darunter das People’s referendum for a Basic Income Grant for South Africa (#BIGNOW), die als Antwort auf die Pandemie ein universelles, bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 4500 Rand pro Person für Südafrika fordern. „Das BIG“, so die Initiator*innen diese Kampagne „hat eine Geschichte, die bis in die Aufklärung zurückreicht. Im 20. Jahrhundert wurden seit den 1970er Jahren in den USA, Kanada, Kenia, Namibia und Finnland viele Experimente und Formen von Grundeinkommensmodellen ausprobiert. Jeder dieser Versuche basierte auf spezifischen Parametern wie Zielgruppen, sozialen Zielen oder Einkommensniveaus. Alle Untersuchungen zeigen positive Ergebnisse bei der Beurteilung der sozialen Wirksamkeit für ein BIG. Diese reichten von mehr Investitionen in die menschliche Entwicklung, weniger Stress, weniger Gesundheitskosten, einer größeren Hebelwirkung auf den Arbeitsmarkt für die Arbeitnehmer*innen und einer geringeren Ernährungsanfälligkeit. Vor dem Hintergrund der Klimakrise und eines tief greifenden gerechten Transformation ist das BIG eine absolut notwendige demokratische Systemreform, um den ökologischen Umbau unserer Gesellschaft zu ermöglichen, ohne den am wenigsten Verantwortlichen für das Problem zu schaden. Wenn Südafrika das BIG im Kontext von COVID-19 nicht einführt, ist dies ein schwerer historischer Fehler und eine verpasste Gelegenheit für eine emanzipiertere Zukunft.“

https://pmbejd.org.za/wp-content/uploads/2020/05/PMBEJD-Research-Report-26052020.pdf

https://www.dailymaverick.co.za/article/2020-04-21-why-south-africa-needs-basic-income-support-now/

https://copac.org.za/peoples-referendum-bignow/

https://www.kasa.de/aktuell/detail/namibia-zahlt-ein-corona-notfall-grundeinkommen-eig-an-beduerftige/